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Freitag, 17. Oktober 2008

Erste Sätze I


Als Beispiel für einen perfekten Beginn gelten die Anfangssätze des Zauberbergs von Thomas Mann:

Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.
Von Hamburg bis dort hinauf, das ist aber eine weite Reise; zu weit eigentlich im Verhältnis zu einem so kurzen Aufenthalt. Es geht durch mehrerer Herren Länder, bergauf und bergab, von der süddeutschen Hochebene hinunter zum Gestade des Schwäbischen Meeres und zu Schiff über seine springenden Wellen hin, dahin über Schlünde, die früher für unergründlich galten. Von da an verzettelt sich die Reise …
Der Leser erfährt, wer warum wie wann wohin fuhr. Und mit den drei Wochen, die zu einem jahrelangen Aufenthalt werden – »eine weite Reise« –, in dem sein Inneres umgewandelt wird – »zu weit eigentlich« –, mit dem einfachen jungen Menschen, der durch Menschen aus »mehrerer Herren Länder« beeinflusst wird, den (seelischen) »Schlünden, die früher für unergründlich galten« und mit »von da an verzettelt sich die Reise« weist Mann auf die kommenden Ereignisse hin.“

Meisterhaft führt KLEIST im Anfang der Marquise von O… den Angelhaken die Hauptperson und den Ort und schildert das unerhörte Ereignis:

In M …, einer bedeutenden Stadt im oberen Italien, ließ die verwitwete Marquise von O …, eine Dame von vortrefflichem Ruf und Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, durch die Zeitungen bekannt machen: daß sie, ohne ihr Wissen, in andre Umstände gekommen sei, daß der Vater zu dem Kinde, das sie gebären würde, sich melden solle; und daß sie, aus Familienrücksichten, entschlossen wäre, ihn zu heiraten.

Neugier weckt auch sein Anfangssatz im Erdbeben in Chili:

In St. Jago, der Hauptstadt des Königreichs Chili, stand gerade in dem Augenblicke der großen Erderschütterung vom Jahre 1647, bei welcher viele tausend Menschen ihren Untergang fanden, ein junger, auf ein Verbrechen angeklagter Spanier, namens Jeronimo Rugera, an einem Pfeiler des Gefängnisses, in welches man ihn eingesperrt hatte, und wollte sich erhenken.

Ina SEIDEL ködert uns im Wunschkind mit dem Ereignis, dem Ort, dem Datum und den Namen der Hauptfiguren:

In einem alten Familienhause am Karmeliterplatz zu Mainz saß in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli des Jahres 1792 der preußische Premierleutnant der Infanterie Hans Adam Echter von Mespelsbrunn mit seiner Frau und seiner Mutter wachend am Bett seines schwerkranken Kindes.

HAMSUN lockt in die Mysterien mit mysteriösen Personen:

Um die Mitte des vorigen Sommers war eine kleine norwegische Küstenstadt der Schauplatz einiger höchst ungewöhnlicher Begebenheiten. Ein Fremder tauchte auf, ein gewisser Nagel, ein merkwürdiger und eigentümlicher Scharlatan, der eine Menge auffallender Dinge trieb und ebenso plötzlich wieder verschwand, wie er gekommen war. Dieser Mann erhielt sogar einmal Besuch von einer geheimnisvollen jungen Dame, die in Gott weiß welcher Angelegenheit kam und nicht wagte, sich länger als ein paar Stunden am Orte aufzuhalten.

Auch Alfred NEUMANN wirft den richtigen Köder aus. Das Ziel der Pistole wird ausgespäht und erfasst, aber erst auf Seite 170 löst sich der Schuss:

Das Haus des Revolutionsministers lag in so geringer Entfernung vom Parlament, daß der Hochverräter – wie er von Hubert Hoff und seinen Freunden genannt wurde – nur in ganz seltenen Fällen den Kraftwagen zu benutzen pflegte. Das wußte man. Man kannte auch die Stunde, in der er, begleitet von seinem verwachsenen und scheuen Sekretär, im Hauptportal des barocken Baus auftauchte, kurzbeinig und fest die Allee zum Parktor durcheilte, vor den beiden salutierenden Matrosenposten höflich und etwas lächerlich den Hut zog und immer den gleichen Zehnminutenweg wählte. Man hatte sich sehr große Mühe gegeben, jede Sekunde dieses wichtigen Stundensplitters auf ihre Eignung zu untersuchen. Man wußte jetzt Bescheid und kannte den gültigen Augenblick. Man kannte sogar – und es schauderte vor solchem Weitblick keinem – das Stück des Bürgersteigs, das unter die erwählte Spanne Zeit zu liegen kam (auf das der Blitz einschlagen wird, formulierte Hoff): fünfzehn gute Meter zwischen einem Gully und der Bordschwelle einer stillen Querstraße. (Der Held)

BÜCHNER nennt im Anfang von Lenz alles Wichtige und weist mit dem Satz „Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehen konnte“ und „er hätte die Erde hinter den Ofen setzen mögen“ auf dessen Wahnsinn hin:

Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. Es war naßkalt; das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber alles so dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehen konnte. … Es war ihm alles so klein, so nahe, so naß, er hätte die Erde hinter den Ofen setzen mögen …

SIMMONS dagegen sagt im Anfang von Salzwasser mit zehn Wörter alles, was eine gute Geschichte ausmacht: Spannung, das besondere Ereignis und den Wendepunkt: „Im Sommer 1963 verliebte ich mich, und mein Vater ertrank.“

Das Ende im Anfang

Sie können mit einer allgemeinen Schilderung beginnen, mit einer Zugfahrt, dem Wetter oder einer Landschaft, das Besondere des Textes muss jedoch darin enthalten sein. Legen Sie eine Spur, doch so subtil, dass der Leser sie nicht merkt: Bereiten Sie im Anfang den Schluss vor.

UPDIKE deutet in Rabitt in Ruhe den Tod der Hauptfigur an:

Harry Armstrong steht inmitten der braungebrannten, aufgeregten nachweihnachtlichen Menschenmenge im Southwest Florida Regional Airport und hat ganz plötzlich das eigenartige Gefühl, daß das, was da auf ihn zukommt, was da ungesehen einherschwebt und gleich landen wird, nicht sein Sohn Nelson mit Ehefrau Pru und den beiden Kindern ist, sondern etwas Schicksalhaftes, etwas viel Persönlicheres: sein Tod, in Gestalt eines Flugzeugs,

ebenso HEMINGWAY in Vier Männer und ein Pokerspiel:

Sie saßen auf Korbstühlen in Havanna und vergaßen die Welt. Wenn es ihnen zu heiß wurde, tranken sie Eiswasser, abends tanzten sie Boston im Atlantic-Hotel. Sie hatten alle vier Geld.
In den Zeitungen stand über sie, daß sie große Leute wären. Wenn sie es dreimal gelesen hatten, warfen sie die Zeitungen ins Meer. Oder sie hielten die Zeitung mit zwei Händen fest und durchbohrten sie mit der Schuhspitze. Drei von ihnen hatten vor zehntausend Menschen Rekorde geschwommen, der vierte die zehntausend auf die Beine gebracht. Als sie ihre Gegner geschlagen und die Zeitungen gelesen hatten, schifften sie sich ein. Mit gutem Geld kehrten sie zurück nach New York.
Diese Geschichte könnte man eigentlich nur unter Jazzbegleitung richtig erzählen. Sie ist von A bis Z poetisch. Sie fängt an mit Zigarrenrauch und Gelächter und endet mit einem Todesfall,

MAILER in Die Nackten und die Toten:

Niemand vermochte zu schlafen. In der Morgendämmerung würde das kleine Transportschiff seine Fahrt verlangsamen, die erste Woge der Truppen würde durch die Brandung dringen und entlang der Küste von Anopopei angreifen. Jedermann auf dem Schiff, jeder im Schiffsverband wußte, daß einige von ihnen in den nächsten Stunden zu sterben hätten,

und Graham GREENE in Am Abgrund des Lebens:

Er war noch keine drei Stunden in Brighton gewesen, da wußte Hale, daß sie ihn ermorden wollten.

Dreißig Zeilen oder dreißig Wörter?

Sie kennen sicher die Romane, in die Sie sich einlesen müssen, bei denen Sie erst nach vielen Seiten in das Buch einsteigen. Meist überlesen Sie diese Seiten stellen das Buch entnervt in den Bücherschrank. Da Sie nicht möchten, dass das auch mit Ihrem Werk geschieht (schließlich wäre es schade um die vielen mühevoll und mit großen Entbehrungen geschriebenen Seiten), reden Sie von Anfang an nicht drumherum, sondern von der Sache selbst.

Beim folgenden Anfang wissen wir sofort, worum es FRISCH geht, um die Identität: „Ich bin nicht Stiller! – Tag für Tag, seit meiner Einlieferung in das Gefängnis, das noch zu beschreiben sein wird, sage ich es, schwöre ich es und fordere Whiskey, ansonst ich jede weitere Aussage verweigere.“ (Stiller)

HAMSUN beginnt manche seiner Werke so direkt, dass Titel und Anfang fast übereinstimmen, wie in Mysterien und in Hunger: „Es war in jener Zeit, als ich in Kristiania umherging und hungerte, in dieser seltsamen Stadt, die keiner verläßt, ehe er von ihr gezeichnet worden ist.“

Auch Annette VON DROSTE-HÜLSHOFF hält sich in der Judenbuche nicht lange mit der Vorrede auf: „Friedrich Mergel, geboren 1738, war der einzige Sohn eines sorgenvollen Halbmeiers oder Grundeigentümers geringerer Klasse im Dorfe B.“

Ebenso Ricarda HUCH in Wonnebald Pück:

Über Berge, auf denen der Schnee noch nicht geschmolzen war, ging Lux Bernkule, ein junges verwitwetes Weib, mit ihren zwei Kindern, dem zehnjährigen Brun und der kaum dreijährigen Lisutt, nach dem jenseitigen Orte Klus, der ihre Heimat werden sollte.

Mit einem Dialog springt Thomas MANN in den Buddenbrooks in die Geschichte:

“Was ist das. – Was – ist das …“ „Je, den Düwel ook, c’est la question, ma très chère demoiselle!“ Die Konsulin Buddenbrook, neben ihrer Schwiegermutter auf dem geradlinigen, weißlackierten und mit einem goldenen Löwenkopf verzierten Sofa, dessen Polster hellgelb überzogen waren, warf einen Blick auf ihren Gatten, der in einem Armsessel bei ihr saß, und kam ihrer kleinen Tochter zu Hilfe, die der Großvater am Fenster auf den Knieen hielt.

Und mit den Gedanken seiner Figur beginnt SCHNITZLER in Die Toten schweigen:

Es ist sonderbar, dachte Franz, wie man sich hier, hundert Schritt von der Praterstraße, in irgendeine ungarische Kleinstadt versetzt glauben kann. Immerhin – sicher dürfte man hier wenigstens sein; hier wird sie keinen ihrer gefürchteten Bekannten treffen.

Fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus

Wie lang ist ein Anfang? Er kann einen Absatz, eine Seite oder auch zwei Seiten betragen. Der dichte Anfang gilt als vorteilhafter, weil eine gemächliche Charaktereinführung den Leser ermüden könnte. Oft ist aber günstiger, mit dem Allgemeinen zu beginnen und die Hauptfigur langsam näher zu bringen, sie heranzuzoomen. Auf diese Weise kann der Autor auch erklärende Passagen wie das Aussehen der Figuren, den Ort und die Zeit einführen, ohne dass er zu Rückblenden greifen muss.

POE beginnt im Mann in der Menge mit dem Allgemeinen, einer Straße, „einer der Hauptadern“ Londons, und entdeckt im „Auf- und Abwogen der tausendköpfigen Menge“ das Besondere: sein Individuum:

Außer all diesen Menschen sah ich noch Kuchenverkäufer, Packträger, Kaminfeger Kohlenträger, Orgeldreher, Affenführer, Bänkelsänger, ärmliche, fast zerlumpte Künstler, erschöpfte Arbeiter. Diese alle strömten mit einer lärmenden Geschäftigkeit vorüber, die mit wirren Mißtönen in mein Ohr summte und von der mich mein Auge bald schmerzte.
Doch steigerte sich mit zunehmender Dunkelheit mein Interesse an all diesen Szenen immer mehr. Nicht nur der allgemeine Charakter der Menge nahm alsbald eine andere Gestalt an, weil der bessere Teil der Bevölkerung sich langsam in die Wohnungen zurückzog und nun der rohere noch kühner hervortrat, sich zu dieser vorgerückten Stunde jedes Laster aus seiner Höhle hervorwagte auch die Strahlen der Gaslaternen, die matt erschienen waren, als sie sich zuerst noch mit dem sterbenden Tageslichte vermischten, gaben jetzt dem Bilde ein anderes, neues Aussehen und überfluteten die Straße mit blendendem Licht, so daß alles dunkel und doch von Strahlen wie übergossen war.
Diese phantastische Beleuchtung regte mich wieder zur Betrachtung der einzelnen Gesichter an, und wenn die Geschwindigkeit, mit der die Personen an dem Lichtscheine meines Fensters vorüberglitten, es auch unmöglich machte, mehr als einen flüchtigen Blick auf einen Vorübergehenden zu werfen, so war’s mir doch, als könne ich in meinem seltsam hellseherisch gesteigerten Zustande auch in diesem kurzen Augenblick die Geschichte langer, langer Jahre lesen.
So studierte ich also, die Stirn an die dunstige Fensterscheibe gedrückt, die vorüberhastende Menge, als mich plötzlich ein Gesicht bannte, das da draußen auftauchte – ein Gesicht von sonderbar stark ausgeprägtem, vielfältigem Ausdruck – ein Gesicht, das einem alten, hinfälligen Manne von fünfundsechzig oder siebzig Jahren angehörte.

Wie eine Kamerafrau beginnt auch Doris LESSING den Roman Und wieder die Liebe: Sie richtet die Kamera zuerst auf die Umgebung und zoomt dann die Heldin langsam heran. Sie schildert zuerst, wie sie lebt und wie sie aussieht, bevor sie den Namen nennt. Die Anfangssätze weisen auf die Hauptfigur hin, auf den Schauplatz – ein Theater – und auf das besondere Ereignis: Sarah wird sich verlieben.

Auf den ersten Blick hätte man es für eine Rumpelkammer halten können, …, aber dann bewegte sich ein Schatten, eine Gestalt tauchte auf, um Vorhänge zurückzuziehen und Fenster aufzureißen. Es war eine Frau, die rasch auf eine Tür zuging und dahinter verschwand, ohne sie zu schließen. Und nun sah man, daß der Raum übervoll war. An einer Wand standen alle möglichen Zeugen des technischen Fortschritts (…), doch abgesehen davon hätte es sich ebensogut um einen Theaterfundus handeln können, denn neben der überlebensgroßen, goldenen Büste irgendeiner Römerin gab es Masken, einen purpurroten Samtvorhang, Theaterplakate und Stapel mit Notenblättern oder vielmehr Fotokopien, die die vergilbten und allmählich auseinanderfallenden Originale getreulich wiedergaben. …
Keine junge Frau, wie man aufgrund ihrer kraftvollen Bewegungen leicht hätte meinen können, solange man sie nur undeutlich im Dunkeln sah …
Die Frau war lebhaft und voller Energie, aber der Anblick, der sich ihr bot, schien ihr nicht zu behagen. Doch sie schüttelte ihr Mißfallen ab, ging zu ihrem Computer, setzte sich hin und schaltete ein Tonband ein.

Die Frau saß da, die Finger startbereit auf den Tasten, und ihr war bewußt, daß sie sich dieser Schwester aus vergangenen Zeiten überlegen fühlte, um nicht zu sagen, sie verachtete. Diese Erkenntnis gefiel ihr gar nicht. Wurde sie etwa intolerant?
Gestern hatte Mary aus dem Theater angerufen und erzählt, daß Patrick völlig durcheinander sei, weil er sich wieder mal verliebt habe, und sie hatte darauf mit einer bissigen Bemerkung reagiert.
»Ach komm schon, Sarah«, hatte Mary sie zurechtgewiesen.

Viele Schriftsteller benennen im ersten Satz die Hauptfigur
„Scarlett O’Hara war nicht eigentlich schön zu nennen.” (Margaret MITCHELL, Vom Winde verweht)
„Ilsebill salzte nach.” (GRASS, Der Butt)
„Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen.” (Uwe JOHNSON, Mutmaßungen über Jakob)
„Ich lernte Dean kennen, nicht lange nachdem meine Frau und ich uns getrennt hatten.” (KEROUAC, Unterwegs)
„Fjodorowitsch Karamasow war der dritte Sohn des Gutsbesitzers aus unserem Landkreis, Fjodor Pawlowitsch Karamasow, der seinerseits wegen seines tragischen und dunklen Endes, das sich vor genau dreizehn Jahren zutrug und worüber ich an gehöriger Stelle berichten werde, allgemein bekannt war (und dessen man sich bei uns auch heute noch erinnert).” (DOSTOJEWSKI, Die Brüder Karamasow)
„Das Schauspiel dauerte sehr lange. Die alte Barbara trat einigemal ans Fenster und horchte, ob die Kutschen nicht rasseln wollten. Sie erwartete Marianen, ihre schöne Gebieterin, die heute im Nachspiele, als junger Offizier gekleidet, das Publikum entzückte, mit größerer Ungeduld als sonst, wenn sie ihr nur ein mäßiges Abendessen vorzusetzen hatte.” (GOETHE, Wilhelm Meisters Lehrjahre)

In manchen Anfängen kommt der Autor selbst zu Wort
„Lange Zeit bin ich früh aufgestanden.” (PROUST, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit)
„Es gibt Dinge, die man fünfzig Jahre weiß, und im einundfünfzigsten erstaunt man über die Schwere und Furchtbarkeit ihres Inhalts.” (STIFTER, Die Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842)
„Dies ist eines der seltsamsten, süßesten und gefährlichsten Kapitel aus der Geschichte meiner Kindheit, der Kindheit eines leidenschaftlichen, verträumten, dem Glauben und der Magie ergebenen kleinen Mädchens, das schon in seiner Lebensfrühe so schwere Worte wie Schicksal, Jude, Sakrament und Tod begriff.” (Luise RINSER, David)
„Ich habe oft versucht, mich mit der Gestalt meiner Mutter und der Gestalt meines Vaters auseinanderzusetzen, peilend zwischen Aufruhr und Unterwerfung.” (Peter WEISS, Abschied von den Eltern)
„Obwohl ich ein alter Mann bin, ist die Nacht meine liebste Zeit zum Spazierengehen.” (DICKENS, Raritäten-Laden)
„In einer gewissen Stadt, die ich aus mancherlei Gründen vorsichtshalber nicht nennen will und der ich auch keinen erdichteten Namen beilegen will, befindet sich unter anderen öffentlichen Gebäuden eines, das von alters her in den meisten Städten, seien sie nun groß oder klein, allgemein üblich ist: nämlich ein Armenhaus.” (DICKENS, Oliver Twist)
„In den letzten Tagen dachte ich an des Nordlandsommers ewigen Tag. Ich sitze hier und denke an ihn und an eine Hütte, in der ich wohnte, und an den Wald hinter der Hütte, und ich mache mich daran, einiges niederzuschreiben, um die Zeit zu verkürzen.” (HAMSUN, Pan)
„An einem Orte der Mancha, an dessen Namen ich mich nicht erinnern will, lebte vor nicht langer Zeit ein Hidalgo, einer von jenen, die einen Speer im Lanzengestell, eine alte Tartsche, einen hagern Gaul und einen Windhund zum Jagen haben.” (CERVANTES, Don Quijote)
„Das Buch handelt weitgehend von Hobbits, und aus seinen Seiten kann ein Leser viel über ihren Charakter und ein wenig über ihre Geschichte erfahren.” (TOLKIEN, Herr der Ringe)
„Dieses Buch enthält die uns gebliebenen Aufzeichnungen jenes Mannes, welchen wir mit einem Ausdruck, den er selbst mehrmals gebrauchte, den „Steppenwolf” nannten.” (HESSE, Vom Steppenwolf)
„Es wäre vielleicht dramaturgisch überaus wirkungsvoll, wenn ich meine Geschichte in dem Moment beginnen ließe, als mich Arnold Baffin anrief und sagte: „Bradley, kannst du bitte mal herüberkommen? Ich glaube, ich habe eben meine Frau umgebracht.” (Iris MURDOCH, Der schwarze Prinz)

Immer gut: das Wetter

Wenn sie nichts zu schreiben haben, dann schreiben sie eben vom Wetter.
Das sollten sie aber endlich bleiben lassen.
TOLSTOI

„Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Rußland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen.” (MUSIL, Der Mann ohne Eigenschaften)
„Bei 33 Grad im Schatten lag der Boulevard Bourdon vollständig verlassen da.” (FLAUBERT, Bouvard und Pécuchet)
„Schwül und dunstig lag der heiße Nachmittag über dem Bergwald.” (GANGHOFER, Schloß Hubertus)
„Die Sonne tauchte blutrot, winzig und vergrämt aus den Nebeln.” (Joseph ROTH, Die hundert Tage)
„Die Sonne schien, da sie keine Wahl hatte, auf nichts Neues.” (BECKETT, Murphy)
„Das Mittelmeer hat eine sonnenhafte Tragik, die so ganz anders ist als das Tragische der Nebel.” (CAMUS, Helenas Exil)
„Seit fünf Tagen regnete es unaufhörlich über Algier, sogar das Meer wurde naß.” (CAMUS, Heimkehr nach Tipasa)
„Der Irrsinn einer herbstlichen Prärie-Kaltfront, näher kommend. Es war deutlich zu spüren: Etwas Furchtbares würde geschehen.” (FRANZEN, Die Korrekturen)
„Er ertrug es nicht länger, ruhig im Wagen zu sitzen; er stieg aus und ging auf und ab. Es war schon dunkel; die wenigen Laternenlichter in dieser stillen, abseits liegenden Straße flackerten, vom Winde bewegt, hin und her. Es hatte aufgehört zu regnen; die Trottoirs waren beinahe trocken; aber die ungepflasterten Fahrstraßen waren noch feucht, und an einzelnen Stellen hatten sich kleine Tümpel gebildet.Hu! Es ist hier gar nicht heimisch, ein jeder Federstrich hallt wider, wenn der Sturm eine Pause macht.” (BRENTANO, Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter)
„Der Orkan, das war ein Vogelschwarm hoch oben in der Nacht; ein weißer Schwarm, der rauschend näherkam und plötzlich nur noch die Krone einer ungeheuren Welle war, die auf das Schiff zusprang.” (RANSMAYR, Die letzte Welt)
„Der Januarsturm fegte von Westen her durch den Kanal, er orgelte in der Takelage und jagte immer wieder schwarze Regenböen vor sich her.” (FORESTER, Fähnrich Hornblower)

Manche Schriftsteller nennen Zeitangaben
„Jahrhundertelang haben Habsburg und Bourbon auf Dutzenden deutscher, italienischer, flandrischer Schlachtfelder um die Vorherrschaft Europas gerungen; endlich sind sie müde, alle beide.” (Stefan ZWEIG, Marie Antoinette)
„Am Freitag, dem 20. Juli 1714, um die Mittagsstunde, riß die schönste Brücke in ganz Peru und stürzte fünf Reisende hinunter in den Abgrund.” (Thorton WILDER, Die Brücke von San Luis Rey)
„Der Winter des Jahres 1788 war so streng, daß die Schindelnägel auf den Dächern krachten, die armen Vögel im Schlaf von den Bäumen fielen und Rehe, Hasen und Wölfe ganz verwirrt bis in die Dörfer flüchteten.” (EICHENDORFF, Autobiografie)
„An einem Junimorgen des Jahres 1872 schlug ich meinen Vater tot – eine Tat, die damals tiefen Eindruck auf mich machte.” (Ambrose BIERCE, An Imperfect Conflagration)
„Während des Sezessionskrieges wurde in Baltimore von alten Soldaten ein Club gegründet, der in kurzer Zeit großen Einfluß gewann. Es ist bekannt, daß sich auch der militärische Instinkt bei den Amerikanern, diesem Reeder-, Kaufmanns- und Techniker-Volk, kräftig entwickelt hat, und daß sie in kurzer Zeit von den Kriegskünstlern der alten Welt gelernt hatten: man siegt am besten, wenn man reichlich Kugel-, Dollar- und Menschenmaterial bereitstellt.” (VERNE, Die Reise zum Mond)
„Im vorigen Jahr, am Abend des zweiundzwanzigsten März, erlebte ich etwas sehr Seltsames.” (DOSTOJEWSKI, Erniedrigte und Beleidigte)

oder beginnen mit einem Ort

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.” (Bibel, Gen 1, 2)
„In einem der Hauskolosse der Gorochowaja, dessen Bevölkerung für eine ganze Kreisstadt gereicht hätte, rekelte sich eines Morgens Ilja Iljitsch Oblomow, Inhaber einer eigenen Wohnung, in seinem Bette.” (GONTSCHAROW, Oblomow)
„An dem Schnittpunkte von Kurfürstendamm und Kurfürstenstraße, schräg gegenüber dem „Zoologischen”, befand sich in der Mitte der siebziger Jahre noch eine große, feldeinwärts sich erstreckende Gärtnerei.” (FONTANE, Irrungen und Wirrungen)
„Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuße der Ngongberge. Hundert Meilen nördlich lief der Äquator durchs Hochland, aber die Farm lag in einer Höhe von über zweitausend Metern. Da spürt man tagsüber die Höhe, die Nähe der Sonne, aber die Morgenfrühe und die Abende sind klar und friedvoll, und die Nächte sind kalt.” (Tania BLIXEN, Jenseits von Afrika)
„Was man in dem kleinen Seehafen Colebrook von Kapitän Hagberd wußte, sprach nicht besonders zu seinen Gunsten.” (Joseph CONRAD, Morgen)
„Wir verließen Perekop in der gemeinsten Stimmung – hungrig wie die Wölfe und wütend auf die ganze Welt.” (GORKI, In der Steppe)
„Damals in den späten 70ern, als ich fünfzehn war, gab ich den letzten Penny, den ich auf der Bank hatte, dafür aus, in einer 747er quer über den Kontinent nach Brandon, Manitoba, tief in die kanadische Prärie zu fliegen, um Zeuge einer totalen Sonnenfinsternis zu werden.” (COUPLAND, Generation)

Sie beginnen mit einer Feststellung

Einer der berühmtesten Buchanfänge, TOLSTOIS Anna Karenina, beginnt mit einer Feststellung und weist in den folgenden Sätzen auf das unerhörte Ereignis, das Unheil, hin: “Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; jede unglückliche Familie ist auf ihre Weise unglücklich. m Hause der Oblonskijs herrschte allgemeine Verwirrung. Die Dame des Hauses hatte in Erfahrung gebracht, daß ihr Gatte mit der früheren französischen Gouvernante ein Verhältnis unterhalten hatte, und ihm erklärt, sie könne fürderhin nicht mehr mit ihm unter einem Dache bleiben.”

Auch andere Bücher beginnen mit einer Feststellung:
„Jeder bekommt die Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer.” (Heimito VON DODERER, Ein Mord, den jeder begeht)
„Der Knabe war klein, die Berge waren ungeheuer.” (Heinrich MANN, Die Jugend des Henri Quatre)
„Ja, wir sind Landstreicher auf Erden.” (HAMSUN, Das letzte Kapitel)
„Sie hätte auf ihren Liebhaber warten können.” (Graham GREENE, Ein Sohn Englands)

mit einem Gespräch oder einer Anrede
„Es ist noch nicht lange her“, begann er endlich, „da hätte ich Sie noch ebensogut führen können wie mein jüngster Sohn. Vor etwa drei Jahren indessen passierte mir etwas, was nie einem Sterblichen vorher begegnete, was jedenfalls keiner bisher überlebt hat, um davon erzählen zu können.“ (POE, Sturz in den Mahlstrom)
„Und darum eben“, schloß der Geheimrat.” (ALEXIS, Ruhe ist die erste Bürgerpflicht)
„Was ist denn mit dir los?”, fragte sie.” (BALDWIN, Des Menschen nackte Haut)
„Wir Deutschen, liebe Kitty, können ein Wirtschaftswunder machen, aber keinen Salat.“ (SIMMEL, Es muss nicht immer Kaviar sein)
„Dies also, dies ist das Leben, Michael Unger?“ (Ricarda HUCH, Michael Unger)

Mit einer Anrede beginnt auch ein Klassiker, der Jung und Alt gleichermaßen fasziniert, das zu einer Metapher für das sinnlose Jagen nach einem wie auch immer gearteten Glück geworden ist: MELVILLES sechste Erzählung Moby Dick: „Nenne mich Ismael.“

Manchmal ist der Anfang zynisch
„Ich bin ein Kind des Kindergelds und eines arbeitsfreien Tages.” (Christiane ROCHEFORT, Kinder unserer Zeit)
„Ich wurde als Kind armer, nämlich ehrlicher Menschen geboren, und bis ich 23 war, hatte ich keine Ahnung von dem Glück, das im Geld eines Andern liegen kann.” (Ambrose BIERCE, The City of the Gone Away)
„Der Umstand, daß er begraben wurde, schien Henry Armstrong kein Beweis, daß er tot sei; ihn zu überzeugen war schon immer schwer gewesen.” (Ambrose BIERCE, One Summernight)
„Am Nachmittag meines einundachtzigsten Geburtstags, als ich mit meinem Buhlknaben im Bett lag, kam Ali und sagte, der Erzbischof sei da und wolle mich sprechen.” (Anthony BURGESS, Der Fürst der Phantome)
„Sehr geehrter Herr Lampart, Sie haben meinen Mann getötet. Darüber möchte ich mit Ihnen reden.” (Fritz DINKELMANN, Das Opfer)

oder unheilschwanger
„An dem Tag, an dem Walter Van Brunt seinen rechten Fuß verlor, hatten ihn sporadisch Spukgestalten der Vergangenheit heimgesucht.” (T. C. BOYLE, Worlds End)
„Stellen Sie sich einen Mann auf dem Weg zu einem knapp dreißigsekündigen Ereignis vor – dem Verlust seiner linken Hand, noch in jungen Jahren.” (IRVING, Die vierte Hand)
„Die Leiche lag mitten im Zimmer, zwischen Tisch und Bett.” (KIRST, Die Nacht der Generale)
„Viele Jahre später sollte der Oberst Aureliano Buendía sich vor dem Erschießungskommando an jenen fernen Nachmittag erinnern, an dem sein Vater ihn mitnahm, um das Eis kennen zu lernen.” (MÁRQUEZ, Hundert Jahre Einsamkeit)
„Ich bin ein kranker Mensch … Ich bin ein schlechter Mensch. Ich besitze nichts Anziehendes..” (DOSTOJEWSKI, Aufzeichnungen aus dem Kellerloch)
„Niemand weiß, ob Jans Jansen an diesem Tag hinfiel, weil ihm schwindlig war, oder ob ihm erst schwindlig wurde, weil er hingefallen war.” (Anna SEGHER, Jans muß sterben)
„Wenn ich den Verstand verloren habe, soll’s mir auch recht sein, dachte Moses Herzog.” (BELLOW, Der Regenkönig)
„Natürlich! Nervös, ganz schauerlich nervös war ich und bin ich! Doch warum wollt ihr mich wahnsinnig nennen? Die Krankheit hatte meine Sinne geschärft, nicht sie zerstört oder abgestumpft – vor allem das Gehör. Ich hörte alles im Himmel und auf Erden. Ich hörte vieles aus der Hölle. Wieso bin ich dann wahnsinnig? Horcht.” (POE, Der Verräter)
„John Franklin war schon zehn Jahre alt und noch immer so langsam, daß er keinen Ball fangen konnte.” (Sten NADOLNY, Die Entdeckung der Langsamkeit)
„Dietrich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt.” (Heinrich MANN, Der Untertan)
„Er wußte, daß die Blicke der Knaben ihn umlauerten, daß jede Blöße, die er sich gab, sein Verderben sein konnte.” (Hermann UNGAR, Die Klasse)
„Es traf ihn unvorbereitet.” (Siegfried LENZ, Der Verlust)
„Ich fühlte, daß es kommen würde.” (Jean GIONO, Der Berg der Stummen)
„Mir ist nicht geheuer, wenn ich geschlossene Türen sehe.” (Joseph HELLER, Was geschah mit Slocum)
„Er sah aus wie der Gott des Alten Testaments ohne Bart.” (DÜRRENMATT, Durcheinandertal)
„Offen gesagt: Ich werde noch schlimmer enden, als ich angefangen habe.” (CÉLINE, Von einem Schloß zum andern)
„Die dabeigewesen sind, die letzten, die ihn noch gesprochen haben, Bekannte durch Zufall, sagen, daß er an dem Abend nicht anders war als sonst, munter, nicht übermütig.” (FRISCH, Mein Name sei Gantenbein)
„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.” (KAFKA, Die Verwandlung)
„Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.” (KAFKA, Der Prozeß)

Kinder- und Jugendbücher

“In der Mottengasse elf, oben unter dem Dach hinter dem siebten Balken in dem Haus, wo der alte Eisenbahnsignalvorsteher Herr Gleisenagel wohnt, steht eine sehr geheimnisvolle Kiste.” (JANOSCH, Lari Fari Mogelzahn)
“Es war Mitternacht, und Herr Taschenbier saß auf dem Dach von Frau Rotkohls Haus” (Paul MAAR, Neue Punkte für das Sams)

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