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Dienstag, 2. Dezember 2008

Dezembergedicht

Als ich gestern nach einem Dezembergedicht suchte, fand ich dieses Gedicht von Georg Trakl:

Dezember*

Am Abend ziehen Gaukler durch den Wald
Auf wunderlichen Wägen, kleinen Rossen.
In Wolken scheint ein goldner Hort verschlossen.
Im weißen Plan sind Dörfer eingemalt.

Der Wind schwingt Schild und Knüppel schwarz und kalt.
Ein Rabe folgt den mürrischen Genossen.
Vom Himmel fällt ein Strahl auf blutige Gossen
Und sacht ein Leichenzug zum Friedhof wallt.

Des Schäfers Hütte schwindet nah im Grau,
Im Weiher gleißt ein Glanz von alten Schätzen;
Die Bauern sich im Krug zum Weine setzen.

Ein Knabe gleitet scheu zu einer Frau.
Man sieht noch in der Sakristei den Küster
Und rötliches Geräte, schön und düster.


Aber ich fand auch dieses Gedicht, weil ihm die erste Fassung später nicht mehr gefielt. Bekannt ist es unter dem Titel

Dezembersonett

Am Abend ziehen Gaukler durch den Wald,
Auf wunderlichen Wägen, kleinen Rossen.
In Wolken scheint ein goldner Hort verschlossen,
Im dunklen Plan sind Dörfer eingemalt.

Der rote Wind bläht Linnen schwarz und kalt.
Ein Hund verfault, ein Strauch raucht blutbegossen.
Von gelben Schrecken ist das Rohr durchflossen
Und sacht ein Leichenzug zum Friedhof wallt.

Des Greisen Hütte schwindet nah im Grau.
Im Weiher gleißt ein Schein von alten Schätzen.
Die Bauern sich im Krug zum Weine setzen.

Ein Knabe gleitet scheu zu einer Frau.
Ein Mönch verblaßt im Dunkel sanft und düster.
Ein kahler Baum ist eines Schläfers Küster.


Und ich fand auch noch diese Version:

Dezembersonett

Am Abend ziehen Gaukler durch den Wald,
Im dunklen Plan sind Dörfer eingemalt.
Der rote Wind bläht Linnen schwarz und kalt.
Und sacht ein Leichenzug zum Friedhof wallt.

Auf wunderlichen Wägen, kleinen Rossen.
In Wolken scheint ein goldner Hort verschlossen,
Ein Hund verfault, ein Strauch raucht blutbegossen.
Von gelben Schrecken ist das Rohr durchflossen.

Des Greisen Hütte schwindet nah am Grau.
Ein Knabe gleitet scheu zu einer Frau.

Im Weiher gleißt ein Schein von alten Schätzen.
Die Bauern sich im Krug zum Weine setzen.

Ein Mönch verblasst im Dunkel sanft und düster.
Ein kahler Baum ist eines Schläfers Küster.

Aber wann Trakl diese Version mit zwei Quartetten und drei sich daran anschließenden Zweizeilern geschrieben hat, konnte ich nicht herausfinden.

Wenn Sie Georg Trakl lieben und bewundern, empfehle ich Ihnen diese Seite: literaturnische.de/Trakl/index-trakl.htm.

Wersch, der Betreiber dieser Website, schreibt: „Aus drei Gründen halte ich es für nötig, dem fluktuierenden Ozean namens Internet etwas über diesen anerkannt einzigartigen Dichter einfließen zu lassen:

* Das wenige, was ich im Internet über ihn gefunden habe, ist bestenfalls Stückwerk.
* Kaleidoskope der Mehrdeutigkeit, meine umfangreiche Untersuchung der Poesie Trakls, soll hier ebenso vor-
gestellt wie Anderen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Gedanken zu Trakl zu veröffentlichen - egal ob in wissenschaftlicher, persönlicher oder poetischer Form.
* Vor allem aber liebe ich ihn schlicht und ergreifend!“

Wersch hat auf seine Seite weitere Doppel- und gar Dreifachfassungen von Gedichten Trakls aufgenommen, eine wunderbare Möglichkeit, die Entwicklung eines Gedichtes nachzuvollziehen.

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