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Freitag, 8. Mai 2009

Maigedicht III

Sehnsucht nach dem Frühling*

O, wie ist es kalt geworden
Und so traurig, öd' und leer!
Raue Winde weh'n von Norden
Und die Sonne scheint nicht mehr.

Auf die Berge möcht' ich fliegen,
Möchte seh'n ein grünes Tal,
Möcht' in Gras und Blumen liegen
Und mich freu'n am Sonnenstrahl;

Möchte hören die Schalmeien
Und der Herden Glockenklang,
Möchte freuen mich im Freien
An der Vögel süßem Sang.

Schöner Frühling, komm doch wieder,
Lieber Frühling, komm doch bald,
Bring' uns Blumen, Laub und Lieder,
Schmücke wieder Feld und Wald!

Ja, du bist uns treu geblieben,
Kommst nun bald in Pracht und Glanz,
Bringst nun bald all deinen Lieben
Sang und Freude, Spiel und Tanz.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben

*Wenn Sie die letzten beiden Maigedichte gelesen haben, die ich hier eingestellt hatte, wundern Sie sich vielleicht. Doch ja, Hoffmann von Fallersleben hat tatsächlich den Titel genommen, unter dem Mozart Overbecks Mai-Gedicht vertont hatte. Aber vielleicht ist es ja ein Antwortgedicht, denn er spricht davon, dass der Frühling wieder kommen soll. (Von dem Gedicht gibt es eine Vertonung von Hoffmann von Fallersleben selbst, die Achim Reichel in seine Volxlieder-CD aufgenommen hat. Er schreibt dazu: „Eins der ganz wenigen Lieder, die in einer Molltonart stattfinden. … Ich habe die original Akkorde übernommen und die Melodie nach meinem Geschmack verändert“ (www.achimreichel.de/home/timeline/volxlieder/volxlieder.html). Weitere Belege dafür, dass Hoffmann von Fallersleben das Gedicht vertont hat, habe ich leider nicht gefunden.)

Aber viele Dichterinnen und Dichter sind nicht allzu kreativ bei Titeln. So hießen bei einem kleineren Wettbewerb zum Thema »Sternstunde«, den ich vor einiger Zeit leitete, von fünfzig Gedichten acht schlicht und ergreifend Sternstunde beziehungsweise einen Tick kreativer Sternstunden und eins immerhin Sternstunden des Alters. Beliebt waren auch die Titel Traum, Unterwegs, Abschied, Wiedersehen, Begegnung und Bitte, vor allem aber die Erinnerung. Vermutlich wird vor allem bei diesem Titel kaum jemand das Gedicht lesen. Nennen Sie es aber »Erinnerung an brennende Stunden«, wird der Leser neugierig. Was sagen Titel wie Erinnerung an einen schönen Abend oder Erinnerung an einen Morgen aus? Nichts. Frühlingserwachen, Frühlingslied, Frühlingssehnsucht – viel zu oft gelesen.

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