Ich bekomme dauernd Aufsätze zu Gesicht, in denen Schriftsteller sich darüber auslassen, daß sie grundsätzlich nie auf Inspiration warten; sie setzen sich einfach jeden Morgen um acht an ihren kleinen Schreibtisch, ob's regnet oder ob die Sonne scheint, ob sie einen Kater haben oder einen gebrochenen Arm oder was weiß ich sonst, und knallen ihr bißchen Pensum hin. Wie leer ihr Kopf auch sein mag und wie öde alles, was ihnen durch die Gedanken trudelt, mit solchem Quatsch wie Inspiration haben sie nichts im Sinn. Ich entbiete ihnen meine Bewunderung und gehe ihren Büchern sorgfältig aus dem Wege.
Ich hingegen, ich warte auf Inspiration, obwohl ich sie nicht unbedingt bei diesem Namen nenne. Ich glaube, daß alles Schreiben, das auch nur etwas Leben in sich hat, aus dem Solarplexus kommt. Es ist harte Arbeit insofern, als man hinterher todmüde sein kann, sogar total erschöpft. Im Sinne bewußter Bemühung freilich ist es überhaupt keine Arbeit. Wichtig ist dabei vor allem eins: der Berufsschriftsteller sollte einen bestimmten Zeitraum haben, sagen wir mindestens vier Stunden am Tag, wo er nichts anderes tut als schreiben. Er muß nicht unbedingt schreiben, und wenn ihm nicht danach ist, dann sollte er's auch nicht versuchen. Er kann aus dem Fenster schauen oder einen Kopfstand machen oder sich auf dem Fußboden schlängeln, aber er soll nichts vollkommen anderes tun, soll nicht lesen, Briefe schreiben, in Zeitschriften blättern oder Schecks ausfüllen. Entweder schreiben oder gar nichts. Es ist das dieselbe Disziplin wie das Ordnunghalten in der Schule. Wenn man die Schüler so weit bringt, daß sie sich benehmen, werden sie auch was lernen, einfach schon um nicht der Langeweile zu verfallen. Ich finde, das funktioniert. Zwei ganz einfache Regeln: 1) Man muß nicht schreiben. 2) Man kann nichts anderes tun. Der Rest kommt von selbst.
Raymond Chandler
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vor 5 Jahren
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