An die Ostersonne.
1791.
Ostersonne! du bist schön
Meiner Freundin aufgegangen,
Kinder werden um sie stehn,
Ihren Seegen zu empfangen,
Und dazu ein buntes Ei,
Und ich hoffe, daß sie heiter
Wie der Ostermorgen sey,
Hoffe, daß sie mich noch weiter
Lieb behalten wird, ob ich
Gleich ihr Antlitz nicht mehr sehe –
Osterwasser läßt Sie sich
Wol nicht schöpfen in der Nähe
Aus der Elbe, wo du dich
Dreymal hüpfend hast gespiegelt,
Sie will nicht verschönert seyn –
Grüße hat Sie fortgeflügelt,
Und vielleicht ist einer mein
Unter diesen Ostergrüßen,
Und in diesem Erdenthal
Werd ich heute Dich genießen
Ganz gewiß zum letztenmal;
Denn ich darf nichts mehr versuchen
Vom gebratnen Osterlamm,
Oder auch vom Osterkuchen;
Ich bin wie ein Weidenstamm,
Den der Wurm ganz hohl gefressen
Und die Fluth halb abgespühlt
Von dem Raum, wo er gesessen.
Meine Seele lebt und fühlt
Nur noch deinen Glanz, du milde
Süße Knospenöfnerin!
Nur mein Auge sicht noch hin
Ins beblümte Grasgefilde,
Bleibt noch munter, bis es bricht;
Brechen wirds eh du vorhanden
Wieder bist, und singen hörst:
Von dem, den du hüpfend ehrst,
Er sey auferstanden –
Auferstehen soll auch ich,
Aber ob mit diesem Leibe,
Den du wärmest, wenn ich dich
Sehe durch die Fensterscheibe,
Ob mit dieser welken Haut
Und mit diesen morschen Knochen?
Ob mein Grab wird durchgebrochen
Von dem Kopfe, der jezt sich
In die Höhe kann erheben,
Wenn die Nacht dem Tage wich
Und du Thätigkeit gegeben
Einer halben Welt wie mir –
Ob du mich siehst auferstehen,
Oder ob auch deine Zier
Mit den Bergen untergehen,
Mit den Thürmen stürzen muß? –
Ach! dies kann kein Weiser sagen,
Und ich wills auch beim Genuß
Nicht ergrübeln, nicht erfragen,
Will genießen deinen Glanz
In des jungen Frühlings Tagen,
Will mir einen Blumenkranz
Noch um meine Schläfe winden,
Wo sich hin und wieder nur
Läßt ein graues Härlein finden,
Des gestiegnen Alters Spur. –
Soll mir nun mein Auge brechen,
Ehe noch ein Jahr entschlüpft
Und von dir viel Christen sprechen,
Daß du dreimal aufgehüpft
An des Ostertages Morgen,
Dann hab' ich den Engel lieb,
Der aus einer Welt voll Sorgen
Mich in eine beßre trieb
Anna Louisa Karschin (1722-1791)
(In Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Nach der Dichterin Tode nebst ihrem Lebenslauff herausgegeben von Ihrer Tocher C[aroline] L[uise] v[on] Kl[encke]: geb: Karschin: Berlin 1792 gedruckt mit Ditericischen Schrifften, S. 270)
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vor 5 Jahren
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