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Freitag, 19. August 2011

Gedicht der Woche

Der Narr epilogirt

Manch gutes Werk hab' ich verricht,
Ihr nehmt das Lob, das kränkt mich nicht:
Ich denke  daß sich in der Welt
Alles bald wieder in’s gleiche stellt.
Lobt man mich weil ich was dummes gemacht,
Dann mir das Herz im Leibe lacht;
Schilt man mich weil ich was gutes gethan,
So nehm’ ich’s ganz gemächlich an.
Schlägt mich ein Mächtiger, daß es schmerzt,
So thu' ich als hätt’ er nur gescherzt;
Doch ist es einer von meines Gleichen,
Den weiß ich wacker durchzustreichen.
Hebt mich das Glück, so bin ich froh
Und sing’ in dulci Jubilo;
Senkt sich das Rad und quetscht mich nieder,
So denk’ ich: nun, es hebt sich wieder!
Grille nicht bei Sommersonnenschein
Daß es wieder werde Winter seyn;
Und kommen die weißen Flockenschaaren,
Da lieb’ ich mir das Schlittenfahren.
Ich mag mich stellen wie ich will,
Die Sonne hält mir doch nicht still,
Und immer geht’s den alten Gang
Das liebe lange Leben lang.
Der Knecht sowie der Herr vom Haus
Ziehen sich täglich an und aus,
Sie mögen sich hoch oder niedrig messen:
Müssen wachen, schlafen, trinken und essen.
Drum trag’ ich über nichts ein Leid;
Macht’s wie der Narr, so seyd ihr gescheit!

(In Goethe's Gedichte, Bd.  2. Cotta 1829, S. 114f.)

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