Seiten

Dienstag, 2. Juni 2009

Über Würmer, die man nicht nur aus der Nase zieht. II



Im germanischen Volksglauben, in dem vielerlei Art von Dämonen Einfluss auf das Leben der Menschen und der Tiere ausübten, ihnen Gutes oder Böses zufügten, machte man für Krankheiten, deren Ursache man sich nicht erklären konnte, weil es halt keine Ärzte im heutige Sinne gab, das Wirken elbischer Dämonen (von elbisch kommt übrigens auch der Ausdruck »Alb« in Albtraum) – die Krankheitsdämonen – verantwortlich. Meist blieben sie unsichtbar, weil sie, wenn sie in den Kranken eingedrungen waren, naturgemäß nicht von ihm gesehen werden konnten. Sie nahmen aber auch Wesen und Gestalt von allerlei Getier wie Mücken, Käfer, Grillen, Schaben, Schmetterlinge, Bienen, Vögel, aber auch Affen, Frösche, Raupen an. All diese Tiere wurden unter dem Begriff Gewürm zusammengefasst, und deshalb gab man den Krankheitsdämonen die Gestalt eines Wurms. Da man annahm, dass solche Wesen durch Mund und Nase und andere Körperöffnungen eindringen, entstand der Brauch, sich beim Gähnen die Hand vor den Mund zu halten. – Dass die »Schmetterlinge im Bauch« sich auf die Schmetterlinge, deren Gestalt die Wesen angenommen hatten, beziehen, glaube ich allerdings nicht. Schließlich ist das keine Krankheit. Oder? –

Um all dieses Gewürm zu vertreiben, sprach man den Wurmsegen:
Gang út, nesso, mid nigun nessiklīnon,
út fana themo margę an that bên, fan themo bêne an that flêsg,
ūt fan themo flêsgke an thia hūd, ūt fan thera hūd an thesa strāla.
Drohtin, uuerthe sō!
(Geh heraus, Wurm, mit neun Würmchen,
heraus von dem Mark in das Bein (den Knochen), von dem Bein in das Fleisch,
heraus von dem Fleisch in die Haut, heraus von der Haut in diesen Strahl.
Herr, es werde so!)
Oder man ging, wenn der Kopfwurm so wütete, dass man an Wahnsinn und Depressionen litt, am Markttag zum Bader oder Wunderheiler, die von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zogen, und ließ sich das Würmchen aus der Nase ziehen.

Und damit sind wir endlich bei der Redewendung »Jemanden den Wurm aus der Nase ziehen«.

Diese Bader oder zu gut Deutsch Quacksalber zogen die Würmer natürlich nicht einfach so aus der Nase, sondern mit viel Brimborium vor den Augen des gesamten Dorfes und den Besuchern aus den umliegenden Dörfern dazu. Sie stocherten mit Instrumenten im Gesicht der armen Kranken herum und zauberten dann heimlich einen Wurm aus dem Ärmel. Der Kranke konnte wieder lachen, und das geneigte Publikum war völlig überzeugt, dass der Wunderheiler den schnöden Krankheitswurm aus der Nase des Patienten gezogen und ihn geheilt hatte. Das alles sah so dramatisch und vor allem glaubhaft aus, dass sich immer mehr Patienten den Wurm ziehen ließen – und immer mehr Münzen in den Beuteln der Quacksalber tanzten. Andere Ärzte verabreichten bei Kopfweh Niespulver, woraufhin Würmer aus der Nase krochen. Es soll sogar Abbildungen dieser Würmer geben.

Eine ziemlich einleuchtende Antwort habe ich in dem Buch Über lebende Würmer im lebenden Menschen aus dem Jahr 1819 gefunden, in dem der Autor berichtet, dass solch ein Wurm ein Spulwurm gewesen sein soll, der sich bei einem vorhergegangenen Erbrechen hinter die Gaumensegel verirrt [habe, jmw], und ist vielleicht eine Zeitlang in der oberen Gegend der Nase stecken geblieben, bis er durch diese einen Ausgang fand«.

Wie auch immer, die Würmer blieben uns im Sprachgebrauch erhalten. Man spricht vom Frosch im Hals; davon, dass einen etwas wurmt, und stellt von Zeit zu Zeit betrübt fest: Da ist der Wurm drin. Da hat jemand  einen Vogel oder, wie man in Berlin sagt, eine Meise, gar eine Meise unterm Pony, oder es piept wohl bei ihm, weil man früher annahm, dass in den Köpfen Geistesgestörter Vögel nisten. Schließlich ist in Hohlköpfen viel Platz. Der Herzwurm nagt am Herzen, und Mitesser sind, so hieß es, schwärzliche Würmer, die als kleine schwarze Haare in der Haut stecken und den Nahrungssaft verzehren (sie wurden daher auch Zehrwürmer oder Dürrmaden genannt).  Der Ohrwurm (auch Ohrputz) wurde für die Ohrenkrankheit verantwortlich gemacht, wie Mumps damals auch genannt wurde.

Auch heute noch hat die Krankheit eine Persönlichkeit. Sie fällt den Menschen an, packt, ergreift ihn, sie wirft ihn nieder, sie schlägt, schüttelt, reißt ihn, sie nagt und zehrt an ihm. Sie überwältigt ihn, der Mensch erliegt oder unterliegt der Krankheit, sie lässt ihn aber, wenn er Glück hat, auch wieder los.

Teil I lesen Sie hier und etwas zu Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen hier

1 Kommentar:

  1. Hallo, Jutta,

    vielleicht wäre in diesem Zusammenhang auch von Interesse, etwas über den vielbesagten Twitterwurm zu erfahren:

    'Der Wurm (Wurm im Techniklexikon) W32.Blaster verbreitete sich per Mail und lockte damit, dass eben dieser Störenfried im Internet (Internet im Techniklexikon) unterwegs ist und auf Wikipedia (Wikipedia im Techniklexikon) ein Wurm-Fix zum Download bereitsteht. Ein Link führte zu einem Wikipedia-Artikel der die vermeintlichen Updates enthalten soll aber in Wirklichkeit handelte es sich dabei um den Wurm W32.Blaster der relativ gefährlich ist.

    Ein aufmerksamer Wikipedia-Auto wurde auf die Spam-Mail (Spam-Mail im Techniklexikon) aufmerksam, die zum Wikipedia-Artikel führte und innerhalb weniger Minuten wurde der ganze Text gesperrt. Die schnelle Reaktion von Wikipedia verhinderte die Verbreitung des Wurms und schützte damit zahlreiche Anwender.
    aus: www.virenschutz.info

    Ich nehme an, der Begriff Wurm im Zusammenhang mit dem Internet rührt daher, dass durchtrennte Wurmteile ein Eigenleben führen und sich weitervermehren?

    So, diesen 'Wurm' habe ich mir jetzt selbst aus der Nase gezogen, wahrscheinlich ist er nur halb (sprich unvollständig) und jemand anderes weiß noch mehr?

    Gruß,
    Franzi

    AntwortenLöschen