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Dienstag, 18. August 2009

Zitat des Tages

Es hat das Gedräng der Verwirrungen, die uns die Übersichtlichkeit und Ordnung des Heutigen erschweren, gefährlich vermehrt, daß die Rufe der Kunst so oft als Rufe zur Kunst sind verstanden worden. So haben die Erscheinungen künstlerischer Betätigung - Gedichte, Bilder, Skulpturen und die schwebenden Gestaltungen der Musik -, statt ins Leben hineinzuwirken, immer mehr junge, künftige Menschen aus ihm herausgerufen. Dieses Mißverständnis entzieht dem Leben viele ihm zugehörige Elemente, und der Bereich der Kunst, in dem doch nur einige Große am Ende berechtigt bleiben, überfüllt sich mit Verführten und Flüchtlingen. Nichts meint das Gedicht weniger, als in dem Lesenden den möglichen Dichter anzuregen..., und das vollendete Bild sagt doch eher: siehe, du mußt nicht malen; ich bin schon da!

Also, darüber müßten wir, zum Schluß, genau verständigt sein, Freund und Bruder: daß die Kunst nicht zuletzt wieder Künstler zu stiften vorhat. Sie meint keinen zu sich hinüber zu rufen, ja, es ist immer meine Vermutung, daß es ihr auf eine Wirkung überhaupt nicht ankäme. Indem aber ihre Gestaltungen, aus unerschöpflichem Ursprung ununterdrückbar hervorgegangen, seltsam still und übertrefflich unter den Dingen dastehen, könnte es geschehen, daß sie jeder menschlichen Betätigung unwillkürlich irgendwie vorbildhaft werden durch ihre angeborene Uneigennützigkeit, Freiheit und Intensität

Rainer Maria Rilke an Rudolf Bodländer am 13. März 1922

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