Seiten

Samstag, 21. Mai 2011

Heinrich Heine über Raucher, Redner und Revolutionen

Ich will Dir gern, lieber Leser, bey dieser Gelegenheit ein Geständniss machen, das du eben nicht erwartest. Du meinst vielleicht, der höchste Ehrgeiz meines Lebens hätte immer darin bestanden, ein grosser Dichter zu werden, etwa gar auf dem Capitol gekrönt zu werden, wie weiland Messer Francesco Petrarcha … Nein, es waren vielmehr die grossen Volksredner, die ich immer beneidete, und ich hätte für mein Leben gern auf öffentlichem Markte, vor einer bunten Versammlung, das grosse Wort erhoben, welches die Leidenschaften aufwühlt oder besänftigt und immer eine augenblickliche Wirkung hervorbringt. Ja, unter vier Augen will ich es Dir gern eingestehen, dass ich in jener unerfahrenen Jugendzeit, wo uns die komödiantenhaften Gelüste anwandeln, mich oft in eine solche Rolle hineindachte. Ich wollte durchaus ein grosser Redner werden, und wie Demosthenes* deklamirte ich zuweilen am einsamen Meeresstrand, wenn Wind und Wellen brausten und heulten; so übt man seine Lungen und gewöhnt sich dran, mitten im grössten Lärm einer Volksversammlung zu sprechen. Nicht selten sprach ich auch auf freyem Felde vor einer grossen Anzahl Ochsen und Kühe, und es gelang mir, das versammelte Rindviehvolk zu überbrüllen. Schwerer schon ist es, vor Schaafen eine Rede zu halten. Bey allem, was Du ihnen sagst, diesen Schaafsköpfen, wenn Du sie ermahnst, sich zu befreyen, nicht wie ihre Vorfahren geduldig zur Schlachtbank zu wandern … sie antworten Dir, nach jedem Satze, mit einem so unerschütterlich gelassenen Mäh! Mäh! dass man die Contenanze verlieren kann. Kurz, ich that alles, um, wenn bey uns einmal eine Revoluzion aufgeführt werden möchte, als deutscher Volksredner auftreten zu können. Aber ach! schon gleich bey der ersten Probe merkte ich, dass ich in einem solchen Stücke meine Lieblingsrolle nimmermehr tragiren kann. Und lebten sie noch, weder Demosthenes, noch Cicero, noch Mirabeau könnten in einer deutschen Revoluzion als Sprecher auftreten: denn bey einer deutschen Revoluzion wird geraucht. Denkt Euch meinen Schreck, als ich in Paris der obenerwähnten Volksversammlung beywohnte, fand ich sämmtliche Vaterlandsretter mit Tabakspfeifen im Maule, und der ganze Saal war so erfüllt von schlechtem Knasterqualm, dass er mir gleich auf die Brust schlug und es mir platterdings unmöglich gewesen wär, ein Wort zu reden …

Ich kann den Tabaksqualm nicht vertragen, und ich merkte, dass in einer deutschen Revoluzion die Rolle eines Grosssprechers in der Weise Börne’s & Consorten nicht für mich passte. Ich merkte überhaupt, dass die deutsche Tribunalkarriere nicht eben mit Rosen, und am allerwenigsten mit reinlichen Rosen bedeckt. So z. B. musst Du allen diesen Zuhörern, »lieben Brüdern und Gevattern« recht derb die Hand drücken. Es ist vielleicht metaphorisch gemeint, wenn Börne behauptet: im Fall ihm ein König die Hand gedrückt, würde er sie nachher ins Feuer halten, um sie zu reinigen; es ist aber durchaus nicht bildlich, sondern ganz buchstäblich gemeint, dass ich, wenn mir das Volk die Hand gedrückt, sie nachher waschen werde.

Man muss in wirklichen Revoluzionszeiten das Volk mit eignen Augen gesehen, mit eigner Nase gerochen haben, man muss mit eignen Ohren anhören, wie dieser souveraine Rattenkönig sich ausspricht, um zu begreifen, was Mirabeau andeuten will mit den Worten:

»Man macht keine Revoluzion mit Lavendelöhl. So lange wir die Revoluzionen in den Büchern lesen sieht das alles sehr schön aus, und es ist damit wie mit jenen Landschaften, die, kunstreich gestochen auf dem weissen Velinpapier, so rein, so freundlich aussehen, aber nachher, wenn man sie in Natura betrachtet, vielleicht an Grandiosität gewinnen, doch einen sehr schmutzigen und schäbigen Anblick in den Einzelheiten gewähren; die in Kupfer gestochenen Misthaufen riechen nicht, und der in Kupfer gestochene Morast ist leicht mit den Augen zu durchwaten!«

War es Tugend oder Wahnsinn, was den Ludwig Börne dahin brachte, die schlimmsten Mistdüfte mit Wonne einzuschnaufen und sich vergnüglich im plebejischen Koth zu wälzen?

Heinrich Heine, Ueber Ludwig Börne. Binger & Söhne 1856, S. 108 f.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen