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Sonntag, 22. Mai 2011

Heinrich Heines Worte aus der Matratzengruft

Jenes Tanzpoem [Der Doktor Faust: ein Tanzpoem, nebst kuriosen Berichten über Teufel, Hexen und Dichtkunst, jmw] schrieb ich nämlich im Jahre 1847, zu einer Zeit, wo mein böses Siechthum bereits bedenklich vorgeschritten war, aber doch noch nicht seine grämlichen Schatten über mein Gemüth warf. Ich hatte damals noch etwas Fleisch und Heidenthum an mir, und ich war noch nicht zu dem spiritualistischen Skelette abgemagert, das jetzt seiner gänzlichen Auflösung entgegenharrt. Aber existire ich wirklich noch? Mein Leib ist so sehr in die Krümpe gegangen, daß schier nichts übrig geblieben als die Stimme, und mein Bett mahnt mich an das tönende Grab des Zauberers Merlinus, welches sich im Walde Brozeliand in der Bretagne befindet, unter hohen Eichen, deren Wipfel wie grüne Flammen gen Himmel lodern. Ach, um diese Bäume und ihr frisches Wehen beneide ich dich, College Merlinus, denn kein grünes Blatt rauscht herein in meine Matratzengruft zu Paris, wo ich früh und spat nur Wagengerassel, Gehämmer, Gekeife und Claviergeklimper vernehme. Ein Grab ohne Ruhe, der Tod ohne die Privilegien der Verstorbenen, die kein Geld auszugeben und keine Briefe oder gar Bücher zu schreiben brauchen – das ist ein trauriger Zustand. Man hat mir längst das Maß genommen zum Sarg, auch zum Nekrolog, aber ich sterbe so langsam, daß solches nachgerade langweilig wird für mich, wie für meine Freunde. Doch Geduld, alles hat sein Ende. Ihr werdet eines Morgens die Bude geschlossen finden, wo Euch die Puppenspiele meines Humors so oft ergötzten. (…)

Wenn man auf dem Sterbebette liegt, wird man sehr empfindsam und weichselig, und möchte Frieden machen mit Gott und der Welt. Ich gestehe es, ich habe manchmal gekratzt, manchen gebissen und war kein Lamm. Aber glaubt mir, jene gepriesenen Lämmer der Sanftmuth würden sich minder frömmig geberden, besäßen sie die Zähne und die Tatzen des Tigers. Ich kann mich rühmen, daß ich mich solcher angebornen Waffen nur selten bedient habe. Seit ich selbst der Barmherzigkeit Gottes bedürftig, habe ich allen meinen Feinden Amnestie ertheilt; manche schöne Gedichte, die gegen sehr hohe und sehr niedrige Personen gerichtet waren, wurden deshalb in vorliegender Sammlung nicht aufgenommen.  Gedichte, die nur halbwegs Anzüglichkeiten gegen den lieben Gott selbst enthielten, habe ich mit ängstlichem Eifer den Flammen überliefert. Es ist besser, daß die Verse, brennen als der Versifex.*

Heinrich Heine, Nachwort zu Romanzero

*Versemacher, mehr ironisch, der Verse aus dem Stegreife macht, mehr eine mechanische Gabe des Dichtens besitzt, als eine sinnvolle. Das ist ein rechter Versifex; ein Dichter, der Verse über's Knie bricht, noch weniger als ein Gelegenheits=Dichter (aus J. G. Krünitz: Oeconomische Encyclopädie)

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