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Sonntag, 18. September 2011

Zitat des Tages: Marc Aurel über das Aufstehen

Stehest du des Morgens ungerne auf, so ermuntere dich durch den Gedanken: "ich erwache zum Werke des Menschen." Soll ich nun mit Unwillen daran gehen, das zu tun, weshalb ich geboren, wozu ich in die Welt gekommen bin? Oder bin ich etwa dazu bestimmt, auf weichen Polstern ruhend meiner zu pflegen.

"Aber die Ruhe ist angenehmer."

Bist du denn zum Genießen geboren, und nicht zum Thun, zur Kraftäusserung? Siehest du denn nicht, wie die Gewächse, die Vögel, die Ameisen, die Spinnen, die Bienen ihr eigenthümliches Geschäft verrichten, un die Welt auf ihrem Platze mit zieren? Wenn du nun deinen Menschenberuf nicht erfüllen willst, so eilst du nicht zu der Bestimmung, die deiner Natur gemäß ist.

(In Marc Aurel. Antonin’s Unterhaltungen mit sich selbst. Aus dem Griechischen übersetzt … von J. M. Schultz. Röhß 1799, S. 51)

Eine Übersetzung von C. F. Schneider aus dem Jahr 1864 lautet:
Früh, wenn's dir leid tut schon aufgewacht zu sein, sage dir gleich, du seist erwacht, dich menschlich zu betätigen. Um der Tätigkeit willen bist du geboren und in die Welt gekommen, und du wolltest verdrießlich sein, daß du ans Werk mußt? Oder bist du dazu geschaffen, in den Federn liegend dich zu pflegen? Freilich ist dies angenehmer, aber bist du um des Vergnügens willen da, nicht vielmehr um etwas zu schaffen und dich anzustrengen? Sieh alle Kreaturen, die Sperlinge, die Ameisen, die Spinnen, die Bienen, wie jedes sein Werk vollbringt und jedes in seiner Weise an der Aufgabe des Ganzen arbeitet! Und du wolltest das deinige nicht tun? nicht den Weg laufen*, den die menschliche Natur dir vorschreibt?
(In Marc Aurel: Selbstbetrachtungen. The Echo Libarary 2006, S. 36; siehe dazu auch das Vorwort zu Wie soll man leben?: Anton Tschechov liest Marc Aurel http://www.deutschesfachbuch.de/info/detail.php?isbn=3257063822&part=1&words=)
*auch gehen
Und eine modernere aus dem Jahr 1949 in der Übersetzung von Albert Wittstock:
Wenn du des Morgens nicht gern aufstehen magst, so denke: Ich erwache, um als Mensch zu wirken. Warum sollte ich mit Unwillen das tun, wozu ich geschaffen und in die Welt geschickt bin? Bin ich denn geboren, um im warmen Bette liegen zu bleiben? – "Aber das ist angenehmer." – Du bist also zum Vergnügen geboren, nicht zur Tätigkeit, zur Arbeit? Siehst du nicht, wie die Pflanzen, die Sperlinge, die Ameisen, die Spinnen, die Bienen, alle ihr Geschäft verrichten und nach ihrem Vermögen der Harmonie der Welt dienen? Und du weigerst dich, deine Pflicht als Mensch zu tun, eilst nicht zu deiner natürlichen Bestimmung?
(http://gutenberg.spiegel.de/buch/1479/5)

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