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Samstag, 31. Januar 2009

Preiswürdig

Aus einem Zwischenbericht zu einem Literaturwettbewerb:
Wir haben uns für Texte entschieden, die durch ihre sprachliche Genauigkeit auffielen, ihre unbestechliche Formulierung, die vom ersten Wort bis zum letzten Satzzeichen markant war.
Den Siegern gratuliere ich herzlich. Denn das klingt ja geradezu nobelpreisverdächtig. Ein bisschen bin ich allerdings ins Grübeln gekommen. Eine bescheidene Frage, gibt es solche Texte? Ohne Lektorat? Ohne dass ein Satz, ja Wort, ja Satzzeichen geändert werden müssen? Und was bedeutet »sprachliche Genauigkeit (= Bedeutungsgenauigkeit)?« – So langsam habe ich das Gefühl, dass der Begriff zur Phrase geworden ist. Gern benutzt, ohne genau zu wissen, was er bedeutet. – Was ist eine »unbestechliche Formulierung«, die dazu auch noch durchgehend vom sozusagen ersten Buchstaben bis zum letzten Satzzeichen »markant« ist? Gibt es bestechliche Formulierungen? Müssen in einem auszeichnungswürdigen Text jedes einzelne Wort, ja jedes einzelne Satzzeichen markant = auffallend, ausgeprägt, hervorstechend, ausdrucksvoll, einprägsam, frappant (lt. Thesaurus von MS Word) sein? Überfordert das nicht den Leser?

Und ich gratuliere natürlich auch den Ausrichtern, dass sie über zwanzig Texte bekommen haben, die perfekt sind. Bei meinen Tätigkeiten als Jurorin war das leider nicht der Fall.

Einen Glückwunsch auch den Jurorinnen und Juroren, weil sie in der glücklichen Lage sind, aus perfekten Texten die Siegertexte herauszusuchen. Aber ich beneide sie nicht bei ihrer Aufgabe. Wie will man aus Texten, die vom ersten Wort bis zum letzten Satzzeichen perfekt sind, die perfektesten Texte auswählen? – Kann man das Wort perfekt = bestmöglich, optimal, fehlerlos steigern? Formal ja, aber kann etwas optimaler als optimaler oder fehlerloser als fehlerlos sein? Kann etwas trockener als trocken sein? In dem Zusammenhang: Ich habe eine gute Seite für Synonyme gefunden:
www.wie-sagt-man-noch.de/synonyme/ und den Blog von Dr. Bopp, der Fragen zur deutschen Sprache beantwortet: www.canoo.net/blog. Sehr zu empfehlen ist auch www.korrekturen.de/forum/.

Und was ist das perfekte letzte Satzzeichen? Da gibt es nur den Punkt. Mit einem Fragezeichen enden, ist ungewöhnlich, aber vielleicht noch erlaubt, aber Ausrufezeichen haben in einem perfekten Text nichts zu suchen. Die drei Auslassungspunkte am Ende eines Satzes »…« auch nicht (obwohl ich sie gern schreibe …). Zu oft in einem Text verwendet, gelten sie als Denk- oder Schreibfaulheit des Autors. Der Autor soll sagen, was er zu sagen hat, ohne »punktuelle« Andeutungen.

Also, liebe Leserinnen und Leser, denken Sie bei Ihren nächsten Einsendungen zu Anthologien und Wettbewerben an unbestechliche, markante, sprachgenaue Formulierungen und Satzzeichen, damit aus Ihrem perfekten Text der perfekteste wird.

Haben Sie auch interessante Erfahrungen mit Wettbewerben oder Anthologieeinreichungen gemacht? Bitte schreiben Sie mir. Ich nehme sie gern in dieses Blog auf.

Aus einem Interview von Titus Müller von der Federwelt mit Dr. Martin Hielscher (Programmleiter Literatur, Verlag C. H. Beck) auf die Frage, warum Manuskripte scheitern:
Sie scheitern letztlich daran, dass sie eben nicht hundertprozentig gut sind, nicht zwingend notwendig, dass ihnen dann doch etwas fehlt, sprachlich, strukturell, von der Geschichte her, dass das, was man daran dann noch nicht so gelungen findet, schwerer wiegt als das Gelungene. Die meisten Lektoren haben eben eine recht eng begrenzte Zahl von Plätzen zur Verfügung und müssen zwangsläufig eine strenge Auswahl treffen.

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