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Dienstag, 21. Dezember 2010

Statt eines Adventskalenders: Gedicht zum 21. 12. (mitsamt Richtigstellung)


Weihnachtslied

Vom Himmel in die tiefsten Klüfte
Ein milder Stern hernieder lacht;
Vom Tannenwalde* steigen Düfte
Und hauchen durch die Winterlüfte,
Und kerzenhelle wird die Nacht.

Mir ist das Herz so froh erschrocken,
Das ist die liebe Weihnachtszeit!
Ich höre fernher Kirchenglocken
Mich lieblich heimatlich verlocken
In märchenstille Herrlichkeit.

Ein frommer Zauber hält mich wieder,
Anbetend, staunend muß ich stehn;
Es sinkt auf meine Augenlider*
Ein goldner Kindertraum hernieder,
Ich fühl’s, ein Wunder ist geschehn.

Theodor Storm

(Aus: Werke in einem Band, 1988, S. 11)

*nicht Tannenwalde

Diese Version der letzten Strophe ist falsch:

Ein frommer Zauber hält mich wieder,
anbetend, staunend muß ich steh’n:
Es sinkt auf meine Augenlieder*
ein goldner Kindertraum hernieder,
ich fühl’s, ein Wunder ist gescheh’n.

*Autsch. Die Augenlieder findet man immerhin über 4300 Mal

Nachtrag: Offensichtlich ist das ein Fehler, der dem Drucker bei der Herausgabe des Gedichts in Sommer-Geschichten und Lieder auf S. 23 unterlief. Denn dort steht tatsächlich Augenlieder … Und da Wikisource, die als kompetente Quelle für alle Art von Texten gilt, das Gedicht so übernommen hat, geistert nun der Fehler im Netz umher.

Allerdings ist auch die erste Strophe anders, denn dort und in Gedichte (1856) heißt es im 3. und 4. Vers:
Ein weihrauchsüßes Harzgedüfte / Durchschwimmet träumerisch die Lüfte,
In Sämtliche Schriften (1868) und in Gesammelte Schriften (1889) sind die Verse wieder anders:
Es brennt der Baum, ein süß Gedüfte / Durchschwimmet träumerisch die Lüfte. 
Die erste Fassung wurde seit 1919 in die Gedichtausgaben übernommen.

Auweia, da wusste Storm wohl nicht so recht, wie er dichten soll, und vor allem konnte er sich nicht entscheiden, welche Version die beste ist. Also, wenn man mich fragt, ich finde die beiden Versionen überaus kitschig. Ich hätte das Gedicht mit diesen Versen sicher nicht freiwillig auswendig gelernt, weil es mein Lieblings-Weihnachtsgedicht ist. Vor allem frage ich mich, ob das süß Gedüfte, das träumerisch durchschwimmt die Lüfte, wirklich von einem brennenden Weihnachtsbaum herrühren.

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