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Donnerstag, 6. Januar 2011

„Neujahrslied“ von Johann Wolfgang von Goethe (mit Anmerkungen versehen)

Neujahrslied*

Wer kömmt! Wer kauft von meiner Waar'!
Devisen auf das neue Jahr,
Für alle Stände!
Und fehlt auch einer hie und da,
Ein einz'ger Handschuh paßt sich ja
An zwanzig Hände.
  
Du Jugend, die du tändelnd liebst,
Ein Küßchen um ein Küßchen giebst,
Unschuldig heiter,
Jetzt lebst du noch ein wenig dumm;
Geh nur erst dieses Jahr herum,
So bist du weiter.
  
Die ihr schon Amors Wege kennt,
Und schon ein bischen lichter brennt,
Ihr macht mir bange.
Zum Ernst, ihr Kinder, von dem Spas!
Das Jahr! Zur höchsten Noth noch das,
Sonst währt’s zu lange.
  
Du junger Mann! Du junge Frau!
Lebt nicht zu treu, nicht zu genau
In enger Ehe;
Die Eifersucht quält manches Haus,
Und trägt am Ende doch nicht aus
Als doppelt Wehe.
  
Der Witwer wünscht in seiner Noth
Zur sel’gen Frau, durch schnellen Tod
Geführt zu werden.
Du guter Mann, nicht so verzagt!
Das, was dir fehlt, das, was dich plagt,
Find’st du auf Erden.
  
Ihr, die ihr Misogyne heißt,
Der Wein heb' euern großen Geist
Beständig höher!
Zwar Wein beschweret oft den Kopf,
Doch der thut manchem Ehetropf
Wol zehnmal weher.
  
Der Himmel geb’ zur Frühlingszeit
Mir manches Lied voll Munterkeit,

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