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Montag, 2. Januar 2012

Einen guten Rutsch …


… wünscht man sich allenthalben zu Silvester.

Aber … woher kommt eigentlich dieser Wunsch? Sicher nicht vom Rutschen auf Glatteis ins neue Jahr oder wo immer man (aus)rutschen kann.

Die erste These ist, dass er seinen Ursprung in den Wünschen zum jüdischen Neujahrsfest Rosch haSchana (hebr: Kopf des Jahres, Anfang des Jahres) hat, zu dem sich jiddisch sprechende Juden einen „Gut Rosch“ wünschen.

Die zweite These besagt, dass er eine rotwelsche Umbildung des Neujahrswunsches „Rosch haSchana Tov“ (wörtlich „einen guten Kopf [Anfang] des Jahres“) ist.

Nach einer dritten These soll der Ausdruck auf das No’ruz-Fest (auch Newruz, Nouruz, Nowruz; von No = neu, Ruz = Tag) – das persische Frühlings- und Neujahrsfest am 21. März – zurückgehen, zu dem viele Iraner verreisen, um ihre Lieben zu besuchen.

Dazu passt die vierte These. Danach kommt der Wunsch „Guten Rutsch“ von dem früher scherzhaft und umgangssprachlich gemeinten Wort Rutschen für Reise, Fahrt. Wenn jemand verreiste, wünschten ihm die Daheimbleibenden einen „glücklichen Rutsch“ oder auch „Glöckliche Rutsch ön e Paar Parêsken (Bastschuhe) op e Weg“, „Glöckliche Rutsch ön den erschte Grawe, möt den Kopp unde, möt de Fêt bawe“, und, nun ja, auch dieses: „Glücklichen Rutsch und einen Schiefer in den Arsch“ und „Ich wünsche glückliche Rutsche, nur keinen Splitter in'n Arsch“, Redewendungen, die Karl Friedrich Wilhelm Wander Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in sein Deutsches Sprichwörter-Lexikon aufnahm (siehe http://www.zeno.org/Wander-1867/A/Rutsch)

Auch Goethe gebraucht das Wort Rutschen für Reisen oder Fahren. In seiner dramatische Grille in sechs Akten Triumph der Empfindsamkeit, deren erste Fassung 1777 erschien, lässt Goethe das Hoffräulein Sora sagen: „Hernach entstand ein Geräusche; da rutscht’ ich fort“ (http://gutenberg.spiegel.de/buch/5647/6; hier wohl im Sinne von „da machte ich mich unbemerkt davon“), und in seinem 1813 geschriebenen Gedicht Die Lustigen von Weimar schreibt er:
Donnerstag nach Belvedere,
Freitag geht's nach Jena fort;
Denn das ist, bei meiner Ehre,
Doch ein allerliebster Ort!
Samstag ists, worauf wir zielen,
Sonntag rutscht man auf das Land;
Zwätzen, Burgau, Schneidemühlen
Sind uns alle wohlbekannt.
(http://gutenberg.spiegel.de/buch/3670/258)
Aber auch woanders finden sich dafür Belege. So schrieb am 25. Mai 1808 Bettina von Arnim an Goethes Mutter: „Adieu leb Sie recht wohl. Ich werd nächstens bei Ihr angerutscht kommen.“ J. Andreas Schmeller nennt in seinem Bayerischen Wörterbuch von 1836 als Beispiel für „rutschen, im Scherz: fahren“: „An Feyertagen rutscht das lebsüchtige München gerne auf Vering oder ins Heselloh“ (S. 172). Und die Gräfin Ida Hahn-Hahn schrieb im Jahre 1841 in ihren Reisebriefen:
Eine wirkliche Reise so zu machen, find’ ich ganz unanständig für einen Menschen. (…) Die Dampfwagenerfindung, sie nivelliert und centralisiert, und das sind die beiden fixen Ideen derjenigen, welche sich Liberale nennen … (…) Für ein Geringes rutscht Greis und Kind, vornehm und gering, reich und arm, Mensch und Vieh auf dem Dampfwagen umher.“ (Zitiert nach Wolfgang Sachs: Die Liebe zum Automobil, 1990, S. 115)
Ob allerdings das Wort „Rutschen“ in dem Satz „Wer diese Reise unternehmen will, muß sich im Rutschen geübt haben“, der auch als Beispiel gilt, wirklich das Reisen bedeutet, ist unklar, wenn man den vollständigen Satz liest: „Wer diese Reise unternehmen will, muß sich im Rutschen geübt haben, und die übelriechende Luft des Abgrundes gewohnt werden, auch die Gefahr nicht achten, eingeschüttet und unter den Ruinen begraben zu werden.“ (Helfrich Peter Sturz, Schriften, 1785, S. 88f.)

Und nun noch meine fünfte These: Vielleicht bedeutet das Rutschen auch einfach nur – Gleiten, in dem Zusammenhang also ein Hinübergleiten ins neue Jahr, oder kurz und knapp „Komm gut rüber!“.

In dem Sinne – all meinen Leserinnen und Lesern alles Liebe und Gute zum neuen Jahr!

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