Vorfrühling
Stürme braus’ten über Nacht,
Und die kahlen Wipfel troffen.
Frühe war mein Herz erwacht,
Schüchtern zwischen Furcht und Hoffen.
Horch, ein trautgeschwätz’ger Ton
Dringt zu mir vom Wald hernieder.
Nisten in den Zweigen schon
Die geliebten Amseln wieder?
Dort am Weg der weiße Streif –
Zweifelnd frag’ ich mein Gemüthe:
Ist’s ein später Winterreif,
Oder erste Schlehenblüte?
Paul Heyse
(In Gedichte. Hertz 1901, S. 18)
Lesenswert ist in dem Zusammenhang ein Brief von Theodor Storm an Heyse vom 22. 6. 1884, in dem er auf dessen Bitte vom 30. 3. eingeht, „die Gedichte, das Skizzenbuch u. die Verse aus Italien mit Muße und einiger Liebe durchzugehen und zu notiren, was Dir entbehrlich scheint“. Dort fragt Storm unter anderem: „Soll das Unsterblichkeitsgedicht mit?“ (womit der er das Gedicht Vorfrühling meint). Und dann: „Aber Du magst wohl nicht an diesen Liedern rühren.“ Denn Storm wollte nur „liedhafte“ Gedichte gelten lassen; siehe dazu ausführlich Theodor Storm-Gottfried Keller: Briefwechsel. Schmidt 1992, S. 216 f.)
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vor 5 Jahren
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